Die sehr kluge und scharfsinnige Gisela Friedrichsen vom Spiegel hat in der letzten Ausgabe (Heft 29, Seite 36/37) einen Bericht über den Prozess gegen die mutmaßlichen Mörder von Dominik Brunner geschrieben. Dieser Artikel hat mich sehr nachdenklich und ärgerlich gemacht. In diesem Artikel im Spiegel wird ein etwas anderes Bild gezeichnet als in dem Artikel, der mit der obigen Überschrift provozierte.
Zwei Faktoren werden in diesem Artikel besonders betrachtet:
- Dominik Brunner ist letztlich an Herzversagen gestorben, da er einen Herzfehler hatte.
- Das Opfer trägt Schuld an der Eskalation der Gewalt, da er die Täter provoziert hat.
Gleichzeit wird auch von Frau Friedrichsen, wie von allen anderen Medien, gelobt, dass dich Herr Brunner für die ersten, jugendlichen Opfer der beiden jungen Männer eingesetzt hat. Zivilcourage wird dies genannt.
Man stelle sich vor, wie die Situation war: zwei großmäulige Jugendliche versuchen einige andere Jugendlich „abzuziehen“. Ein Erwachsener, von vielen, schreitet ein. Er versucht zu die zu schützen, die sich nicht wehren können oder mögen. An der Haltestelle, an der die Opfer den Zug verlassen wollen, bietet er an, diese mögen mit ihm eine Haltestelle weiterfahren, damit sie nicht mit den Tätern zusammen aussteigen müssen, wo ihnen evtl. weitere Gefahr droht. Die beiden Täter bleiben daraufhin ebenfalls im Zug. Bei mir würde an der Stelle die Panik aufsteigen, egal ob ich bei den Opfern bin oder der Helfer, als alle an der nächsten Haltestelle aussteigen. Die aggressive Situation war also auf diese, deeskalierende Weise für Herrn Brunner nicht zu klären. Er geht einen Schritt weiter und versucht die eher schmächtigen Täter einzuschüchtern.
An der Stelle muss auf Folgendes hingewiesen werden: alles, was ich jetzt berichtet habe, ist durch Zeugenaussagen gestützt. Alles Zeugen, die eigentlich unterlassener Hilfeleistung angeklagt gehören. Darüber war bisher nichts zu hören. Im Gegenteil: diese eher feigen Menschen werden zu Zeugen gegen einen Menschen aufgefahren, der das getan hat was diese Zeugen unterlassen haben – und was ich wahrscheinlich auch unterlassen hätte. Ich würde mich sehr schämen, würde ich nun Herrn Brunner belasten.
Das mit dem Einschüchtern hat nicht geklappt, das ist bekannt. Wahrscheinlich hat es auch deswegen nicht geklappt, weil Herr Brunner einen Herzanfall erlitt, der ihm die nötige Kraft raubte sich zu wehren.
Was wäre also die Alternative für Herrn Brunner gewesen? Die Auseinandersetzung lag in der Luft, die Täter waren nicht bereit sich zurück zu ziehen. Hätte Herr Brunner sich zurück gezogen und die Opfer nach Hause gebracht, die Gefahr hätte ihn begleitet. Warum sonst sind die Täter weiter mit gefahren? Hatte er überhaupt eine Chance da wieder raus zu kommen und der Auseinandersetzung zu entgehen? Er sah diese Chance nicht.
An der Stelle hat Frau Friedrichsen eine andere Sicht: Sie schreibt, Herr Brunner hat mit seinem Erstschlag einen Angriff abgewehrt, der nie stattgefunden hätte. Dies ist Spekulation! Dient aber der Schmälerung des Ansehens Brunners, obwohl Frau Friedrichsen den Worten nach, dies nicht beabsichtigt. Doch wie soll ich verstehen, dass sie versteht, dass der eine Schläger sich dieses „Angriffes“ erwehrt, indem er Herrn Brunner beabsichtigt zumindest krankenhausreif zu schlagen? Ich will einen Mord also nicht unterstellen. Aber was rechtfertigt diese ausufernde Gewalt? Weil es a-soziale Jugendliche waren/sind? Doch bestimmt nicht.
Ich verstehe nicht, was mir der Artikel sagen soll.
Soll er die Täter entschuldigen? Wie soll das gehen? Brutale Gewalt bleibt brutale Gewalt, ob provoziert oder nicht. Die Täter haben schließlich nicht in Notwehr gehandelt.
Oder soll der Artikel das Opfer beschuldigen? Dass er seinen für ihn tödlichen, ihm aber unbekannten Herzfehler nicht kannte?
Wahrscheinlich sollen die Täter geschützt werden vor Vorverurteilung und ihren eigenen Taten, die sie nicht beabsichtigt haben. Diese Sicht ist legitim. Doch zu den Tätern und dem Umgang mit Ihnen möchte ich gleich kommen.
Mein Problem ist, das mit der Entschuldigung Brunner habe den „ersten Angriff“ gestartet, daher sei … ja was eigentlich? Gewalt erlaubt? Oder zumindest nachvollziehbar? Worauf es mir aber ankommt ist, dass diese Sichtweise nicht das Andenken Brunners verunglimpft, sondern jeden potentiellen Helfer doppelt abschreckt:
- Er kann selber starke Verletzung beim Helfen erleiden
- Seine Tat, seine Hilfe wird nicht einmal als Hilfe anerkannt, sondern aus dem Blickwinkel des Opfers gesehen – womöglich als Angriff.
Das darf nicht sein.
Nun zu den Tätern. Die angemessene Strafe für Totschlag darf nicht durch juristische und pädagogische Finessen verwässert werden. Die Pädagogik hat nach der Verurteilung ihren Platz. Und da darf ein reines Wegschließen nicht sein. Eine Möglichkeit sehe ich in dem Programm von Rupert Voß. Hilfe dieser Art halte ich für wesentlich sinnvoller. Aber das ist ein Thema, welches man nach der Verurteilung bedenken muss.